Corona – die Masken fallen - Berichte
Der Vorsitzende des Eimsbütteler Turnverbands (ETV) mit 15.000 Mitgliedern knüpft daran an und definiert die aktuell vorrangigen Aufgaben seines Vereins so: „In der Pandemie haben die Kinder am stärksten unter dem Lockdown im Sport gelitten. Wir haben zwei Jahrgänge an Kindern, die nicht schwimmen gelernt haben, die nicht in die Vereine gekommen sind, die keine Sporterfahrungen machen und keine Erfolgserlebnisse haben, keine Sportbindungen entwickeln konnten. Bewegungsfreude und Sportinteresse müssen bei ihnen gezielt gefördert werden, um ihre Gesundheit, ihre Resilienz und Teamfähigkeit zu stärken.“ Das Land Schleswig-Holstein hat eine Schwimmoffensive ins Leben gerufen, um den Kindern, die in der Pandemie nicht das Schwimmen gelernt haben, die Teilnahme an Schwimmkursen zu er-möglichen.
In dem Bemühen, ihre Mitglieder zu halten, seien die Vereine „sehr kreativ und erfinderisch gewesen“, befindet Hans-Jacob Tiessen, Präsident des Lan-dessportverbandes Schleswig-Holstein (LSV) im Pinneberger Tageblatt vom 03. Mai 2022 und fügt hinzu: „Bei den unter Sechsjährigen gibt es einen Mitgliederzuwachs von fast elf Prozent.“ Diese Trendumkehr sei bei den Erwachsenen nicht so ausgeprägt: Die Gesamtmitgliederzahl stieg im LSV zum 01. Ja-nuar 2022 um 1,22 %. Hat Corona den Sportvereinen ordentlich zugesetzt, so scheinen die Mitgliederverluste im zweiten Pandemie-Jahr ähnlich wie in Thüringen nicht mehr so stark gewesen sein . „Dafür möchte ich allen Beteiligten danken, die durch ihr großes Engagement dazu beigetragen haben, dass unsere Mitgliederzahlen sich wieder in die richtige Richtung entwickelt haben“, so Tiessen weiter. Dennoch: Alle werden wohl auch nicht zurückkehren: „Es besteht die Gefahr, dass die schon in der Pandemie eingeübten unorganisierten Sportformen (Joggen, Outdoorsport, private Sportgruppen, digitale Fitnessprogramm) weiter Zulauf haben, weil sie kostengünstiger sind. Hier muss der organisierte Sport mit attraktiven Angeboten reagieren. Vereine bieten kompetente Bewegungsförderung, gesunde Fitness sowie soziale Integration und Teilhabe.“
Das leitet zu einem anderen Problem, vor dem die Vereine stehen, über: der Verlust an „Ehrenamtlern“ und deren Rückgewinnung. War ihr in unterschiedlichen Vereinsbereichen „üblicher“ Einsatz in den Lockdownzeiten nicht möglich, haben einige Ältere und Langjährige die Gelegenheit zum „unauffälligen“ Ausstieg genutzt. Es gilt also nicht nur, attraktive Sport- und Bewegungsangebote zu unterbreiten, sondern die Vereine müssen auch für diese „Fachkräfte“ attraktiv bleiben oder werden. Die Gewissheit „Weil es oft anders kommt …“ lehrt uns in dieser Phase mit Nachdruck, mit Ungewissheiten zu leben und trotz dieser Unsicherheiten hand-lungsbereit und -fähig zu bleiben und bleiben zu müssen.
So wie die Stadt Wernigerode, die unter der Federführung des Sachgebiets Schule und Sport in diesem Jahr zum fünften Mal zum „Tag der Vereine“ ein-lädt. Der Tag der Vereine bietet allen Vereinen die Gelegenheit, sich den Einwohnerinnen und Einwohnern mit ihrem ganzen Spektrum, ihrer Vielfalt, ihren Besonderheiten und Schwerpunkten zu präsentieren. Mitglieder zu akquirieren und zu binden, ist durchaus eines der Ziele dieser von der Bevölkerung gut angenommenen Veranstaltung. Aber es geht auch darum, für das Ehrenamt im Verein zu werben und aufzuzeigen, dass das freiwillige Engagement nicht nur im Interesse der örtlichen Gemeinschaft liege, sondern auch für die Aktiven selbst sinnstiftend und erfüllend wirke und somit „weniger als Last denn als Lust, weniger als Pflicht denn als Freude“ empfunden werde.
Auch anderen kommunalen Sportverwaltungen ging und geht es in der Regel nicht nur darum, die Vereine finanziell zu unterstützen. Zum Beispiel war die „Marschrichtung“ in Neumünster in Pandemiezeiten, „Sportvereine nicht vor-rangig monetär (zu) unterstützen, sondern durch Erleichterungen, Entlastun-gen und vereinfachte Rahmenbedingungen zum Gelingen einer Sportausübung in Pandemie-Zeiten bei(zu)tragen!“
So habe es die Stadt Neumünster zu jeder Zeit geschafft, die städtischen Sportstätten im Rahmen der rechtlichen Vorgaben für den Sportbetrieb offen zu halten mit dem Ziel, die Nutzung durch Schulen und Sportvereine sicherzustellen und die oben beschriebenen „Kollateralschäden“ wie Mitgliederschwund in den Vereinen, Verlust der Bewegungsfreude und Schwimmfähigkeit zu vermeiden, mindestens aber zu reduzieren. Aufgrund dieser Strategie dürften auch Neumünsteraner Kinder von der Schwimmoffensive des Landes profitiert haben und jetzt nach dem Wegfall der Beschränkungen auch weiterhin profitieren ….
Für Sachsen-Anhalt gilt ebenfalls, dass es praktisch keine Einschränkungen mehr gibt. Die Kolleginnen aus Wernigerode, Silvia Lisowski und Claudia Da-lichow, bestätigen dies im Gespräch am 07. April: Maskenpflicht und Höchstbelegungen seien entfallen, so dass der „Sportbetrieb wieder normal laufen kann.“ Sie sagen aber auch, dass die Nutzervereine der städtischen Sporthallen gebeten werden, sich auch weiterhin vorsichtig zu verhalten und z. B. auf Abstände zu achten – auch in den Umkleiden. Deshalb würden sie nach wie vor dafür werben, schon in Sportkleidung zum Sport zu kommen und nach dem Sport zu Hause zu duschen. Mit den Sportvereinen sei dies auch so kommuniziert worden; die im Prinzip freiwilligen Verhaltensregeln seien auf großes Verständnis in den Vereinen gestoßen: „Wir wollen doch alle dasselbe, nämlich, dass die Hallen offen bleiben“, sagen sie. Es komme eben darauf an, die Vereine „mitzunehmen“ und ihnen die Hintergründe zu vermitteln.
Kommunikation ist auch für Pierre Hein, Leiter der Abteilung Schule und Sport der Stadt Neumünster, das A und O - in Krisenzeiten und auch danach. Dabei gehe es nicht nur um das „In-Kontakt-Bleiben“ mit den Vereinen, die er wegen der kreativen Lösungsansätze und Corona-gerechter attraktiver Sportangebote loben möchte, sondern auch um die Kommunikation mit dem Kreissportverband Neumünster, mit den übrigen Ressorts der Verwaltung und mit der Kommunalpolitik. „Ressortübergreifende Kooperation und Netzwerkarbeit können dringender nicht sein als jetzt“, sagt er.
Ein anderes Netzwerk spricht Jan-Peter Bertram, Leiter des Fachbereichs Schule und Sport der Stadt Norderstedt an: die interkommunale Zusammenarbeit in regionalen oder landesweiten Facharbeitsgemeinschaften in Corona-Zeiten. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kultur, Schule, Sport der Mittelstädte im Städteverband Schleswig-Holstein (AG KSS). Normalerweise treffe sich die AG KSS zweimal im Jahr in einer der Mitgliedsstädte, berichtet er. Weil es die Pandemie-Bedingungen nicht anders zugelassen hätten, habe man sich in den vergangenen Jahren nur einmal in Präsenz treffen können, um aktuelle Themen erörtern, Gesetzes- oder Verordnungsvorhaben begleiten oder den gerade in Krisenzeiten so notwendigen Erfahrungsaustausch im konstruktiven persönlichen Gespräch stattfinden lassen zu können. Klar, dass man sich in Pandemiezeiten auch mit den Kolleginnen und Kollegen in Videokonferenzen zusammengefunden habe, um in Kontakt zu bleiben, sich auszutauschen und notwendige andere Dinge miteinander zu besprechen. Und klar sei auch, dass durch digitale Formate Zeit und Geld eingespart werden könne, dass sogar ei-ne gewisse Gewöhnung eingetreten sei und die Vorteile der Onlinemeetings nicht unterschätzt werden sollten und würden. Dass aber, wie von der Managementliteratur suggeriert, digitale Treffen das alleinige Zukunftsmodell sein sollen, glaube er nicht. So seien zu der einzigen Präsenztagung in den letzten zwei Jahren so viele Kolleginnen und Kollegen gekommen wie nie zu-vor: Das Nachhaken zu einem noch unklaren Aspekt über den Konferenztisch hinweg, die konkrete Nachfrage an den Referenten, das informelle Gespräch mit Kollegen, das außerhalb der Tagesordnung zur Lösung eines Problems bei-trägt, die für die Interaktion bedeutsame Berücksichtigung der persönlichen Befindlichkeiten oder der jeweiligen dienstlichen Rahmenbedingungen, der Austausch und die Vermittlung von Kontaktdaten – das alles und noch viel mehr könnten die digitalen Formate nicht oder nur eingeschränkt leisten. Trotzdem: Ob die AG KSS in Zukunft online oder in Präsenz tage, werde wohl von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Es sei gut, dass mittlerweile unterschiedliche Formen des Austausches erprobt seien. So könne man je nach Inhalt und Umfang, je nach Tagesordnung oder einzuladenden Referenten und Gästen usw. die Vorteile des einen oder anderen Formats nutzen.